Endspiel um die Deutsche Meisterschaft am 18.6.1922:Grunewaldstadion Berlin / 30.000 Zuschauer1. FC Nürnberg - Hamburger SV 2:2 n.V. (2:1,2:2) 1. FCN: Stuhlfauth - Bark, Grünerwald - Köpplinger, Kugler, Riegel - Strobel, Popp, Böß, Träg, Sutor Hamburger SV: Martens - Beier, Schmerbach - Flohr, Halvorsen, Krohn - Kolzen, Breuel, Harder, Schneider, Rave Schiedsrichter: Dr. Peco Bauwens (Köln) Tore: 0:1 Rave (19.), 1:1 Träg (20.), 2:1 Popp (30.), 2:2 Flohr (86.) Wiederholungsspiel am 6.8.1922:VfB-Platz Leipzig Probstheida / 50.000 Zuschauer1. FC Nürnberg - Hamburger SV 1:1 n.V. (0:0,1:1) 1. FCN: Stuhlfauth - Bark, Kugler - Köpplinger, Riegel, Reitzenstein - Strobel, Popp, Böß (18. Rot), Träg (100. Rot), Sutor Hamburger SV: Martens - Beier, Agte - Flohr, Halvorsen, Krohn - Kolzen, Breuel, Harder, Schneider, Rave Schiedsrichter: Dr. Peco Bauwens (Köln) Tore: 1:0 Träg (48.), 1:1 Schneider (69.) |
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Die Mannschaft des 1. FCN im Jahr 1922 |
Die Sonne war längst hinter dem Berliner Grunewald-Stadion untergegangen. Seit fünf Uhr nachmittags spielten der HSV und der 1. FC Nürnberg nun schon um die deutsche Fußballmeisterschaft, doch ein Sieger wollte sich einfach nicht finden lassen. Inzwischen war es neun Uhr und die Lichtverhältnisse so schlecht geworden, daß Schiedsrichter Bauwens die Partie abbrechen mußte. 189 Minuten waren da bereits gespielt worden. Sechs Wochen später kam es in Leipzig zum Wiederholungsspiel.
Auch das stand nach 90 Minuten unentschieden und ging in die Verlängerung. Doch weil die Nürnberger wegen roter Karten und Verletzungen bald nur noch mit sieben Mann auf dem Platz standen, blieb dem Unparteiischen keine andere Wahl, als das Spiel nach 112 Minuten siegerlos abzubrechen.
1922 gab es keinen deutschen Fußballmeister.
Vor dem Finale gab es auf beiden Seiten tiefe Sorgenfalten. Bei den Hamburgern, die schon die gesamte Saison über mit Verletzungspech zu kämpfen gehabt hatten, fiel Mittelläufer Karl Ernst aus; dafür hatte sich der norwegische Internationale Asbjorn Halvorsen nach langer Verletzungspause endlich zurückmelden können. Am Zabo waren die Sorgen größer. Weil sich der FCN beim Stadionausbau übernommen hatte und in Geldnöten steckte, absolvierte er wenige Tage vor dem Finale noch ein Freundschaftsspiel bei Eintracht Frankfurt, bei dem sich die Seele des Club-Spiels, Hans Kalb, verletzte. Zwar war der angeschlagene Hans Sutor endspielfit, doch Kalbs Ausfall war ein kaum zu verdauendes Handicap für den Club. Von Beginn an lieferten sich beide Mannschaften einen harten Kampf, der einige Male über das erlaubte Maß hinausging. Zur hektischen Stimmung trug aber auch ein Sonderzug Hamburger Fußballfans bei, deren Benehmen laut zeitgenössischen Meldungen "zu verurteilen" war. Erst nach einer Viertelsrunde beruhigten sich die Gemüter ein wenig.
Während Nürnberg versuchte, das Spiel durch seine überlegene Technik in den Griff zu bekommen, wollten die Norddeutschen aus verstärkter Abwehr heraus zum Erfolg kommen. Halvorsen organisierte die HSV-Abwehr vorzüglich, und Tull Harder sorgte desöfteren für Gefahr im Nürnberger Strafraum. Bei einem dieser Gelegenheitskonter zog Hamburgs Hans Rave einfach ab und überraschte Stuhlfauth im FCN-Tor - 1:0 für den Herausforderer. Wütend führte Heinrich Träg den fälligen Toranstoß aus, rannte mit dem Ball am Fuß aufs Hamburger Gehäuse zu, umkurvte die gesamte HSV-Deckung und schoß aus drei Metern Entfernung unhaltbar ein - 1: 1, im direkten Gegenzug!
Als Popp zehn Minuten später mit einem schönen 20-Meter-Schuß die Nürnberger Führung markierte, schien die Partie entschieden zu sein. In der zweiten Halbzeit beschränkten sich die Franken fast völlig auf die Verteidigung und begingen damit einen Riesenfehler. Vier Minuten vor Spielschluß passierte es: Der erst 19jährige Hans Rave flankte in den Strafraum, wo Flohr, Breuel und Harder standen. Einer von den Dreien - welcher ist bis heute umstritten kam mit der Stiefelspirze dran und schoß den Hamburger Ausgleich.
In den anschließenden Verlängerungen erspielten sich die Nürnberger zwar eine deutliche Feldüberlegenheit, konnten diese aber nicht in Tore umsetzen. Nach mehr als drei Stunden Spielzeit mußte Schiedsrichter Bauwens schließlich die Partie, die durch zahlreiche Wadenkrämpfe auf beiden Seiten immer wieder unterbrochen gewesen war, wegen Dunkelheit abbrechen.
Sechs Wochen später pfiff derselbe Unparteiische den zweiten Akt an. In der noch im Bau befindlichen Leipziger Probstheida herrschte ein Zuschauerchaos - statt der 40.000 erlaubten waren über 70.000 Fans gekommen. Mit halbstündiger Verspätung - die Spieler hatten so lange gebraucht, um bis zum Spielfeld durchzukommen - begann das Wiederholungsspiel. Im Gegensatz zum ersten Match setzte der HSV Rudolf Agte für den zwischenzeitlich ausgeschiedenen Schmerbach ein, während der FCN seinen Läufer Michael Grünerwald, der sich beim Aussteigen aus dem Zug (!) verletzt hatte, durch Reitzenstein ersetzen mußte.
Erneut waren die Nürnberger technisch überlegen, doch diesmal zeigten sie Nerven. In der 18. Minute mußte Willi Böß wegen Nachtretens das Spielfeld verlassen. In Unterzahl gelang Heinrich Träg in der 48. Minute per Alleingang dennoch der 1:0-Führungstreffer. Zwanzig Minuten später markierte Schneider jedoch den Hamburger Ausgleich. Keine vier Minuten vergingen, da standen nur noch neun Nürnberger auf dem Platz: Anton Kugler hatte nach einem Zusammenprall fünf Zähne verloren und mußte ausscheiden. In der zehnten Verlängerungsminute der nächste Schock für Nürnberg, als Heiner Träg nach einem harmlosen Foul an Beier des Feldes verwiesen wurde. Als dann auch noch Luitpold Popp verletzungsbedingt ausscheiden mußte, blieb Schiedsrichter Bauwens keine andere Wahl, als das Spiel abzubrechen, denn der Club hatte nur noch sieben - statt der seinerzeit vorgeschriebenen acht - Spieler auf dem Feld.
Es folgte eine echte Provinzposse. Zunächst erklärte der DFB den HSV zum Meister ("die Nürnberger sind wegen der Platzverweise am Spielabbruch schuld"), wogegen die Nürnberger erfolgreich Protest einlegten ("das Spiel wurde nicht abgebrochen, sondern nicht wieder angepfiffen").
Das wiederum nahm der HSV nicht hin und erzwang einen außerordentlichen DFB-Bundestag ("der FCN wollte einen Spielabbruch erzwingen"), auf dem ihm erneut die Meisterschaft zugesprochen wurde. Erst zu diesem Zeitpunkt erklärten die Norddeutschen, daß sie auf den Titel verzichten würden und Deutschland blieb ohne Fußballmeister.
(Spielbericht entnommen aus Hardy Grüne "Vom Kronprinzen bis zur Bundesliga")